Reichstagsbrand

Reichstagsbrand
I
Reichstagsbrand,
 
die Zerstörung des Reichstagsgebäudes in Berlin durch Brandstiftung am 27. 2. 1933. Die Nationalsozialisten, die den Reichstagsbrand als Fanal eines Aufstandes den Kommunisten zuschrieben und die Sozialdemokraten der Komplizen- beziehungsweise Mitwisserschaft verdächtigten, begannen sofort eine umfangreiche Propaganda- und Verfolgungsaktion gegen KPD und SPD und nutzten den Vorfall für den Erlass der Notverordnung des Reichspräsidenten »zum Schutz von Volk und Staat« (»Brandverordnung«, 28. 2. 1933), die die politischen Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft setzte und damit die Verfolgung politischer Gegner scheinbar legalisierte (bis 1945 in Kraft; »Grundgesetz des Dritten Reiches«, H. Krausnick).
 
Im Reichstagsbrandprozess vor dem Reichsgericht in Leipzig (21. 9.-23. 12. 1933) wurde der niederländische Kommunist Marinus van der Lubbe (* 1909, ✝ 1934) aufgrund seines Geständnisses zum Tode verurteilt, die übrigen Angeklagten (u. a. Ernst Torgler, * 1893, ✝ 1963, Fraktionsvorsitzender der KPD; G. Dimitrow, bulgarisches Komintern-Mitglied) aus Mangel an Beweisen freigesprochen und 1934, zu sowjetischen Staatsbürgern erklärt, in die UdSSR entlassen. - Während die Nationalsozialisten an ihrer These von der Existenz eines kommunistischen Brandstiftungskommandos festhielten, wurden sie selbst (zunächst von kommunistischer Seite) angesichts ihrer entschlossenen Nutzung des Reichstagsbrands zum Machtausbau der Urheberschaft bezichtigt. Trotz fehlender Beweise bestimmte diese Gegenthese, die die Alleintäterschaft van der Lubbes ebenfalls ausschloss, lange Zeit das Bild in der Geschichtswissenschaft. Die Infragestellung der nationalsozialistischen Urheberschaft (erstmals F. Tobias 1959/60) löste eine stark emotionsgeladene historische Debatte aus, die in der Kontroverse um den Charakter des NS-Regimes und Hitlers Rolle im Herrschaftsgefüge (»Revisionismusdebatte«) wieder aufgegriffen wurde. Nach umstrittenen Versuchen, die Täterschaft der Nationalsozialisten quellenmäßig eindeutig nachzuweisen (u. a. W. Hofer, der sich des Vorwurfs der Fälschung von Quellen ausgesetzt sah), galt die Alleintäterschaft van der Lubbes lange Zeit als weitgehend gesichert. Erst nunmehr zugängliches Archivmaterial aus der DDR ließ Ende der 1990er-Jahre die Sachlage nicht mehr so eindeutig erscheinen.
 
 
F. Tobias: Der R. Legende u. Wirklichkeit (1962);
 H. Mommsen: Der R. u. seine polit. Folgen, in: Vjh. für Zeitgesch., Jg. 12 (1964); Der R.-Prozeß u. Georgi Dimitroff. Dokumente, bearb. v. H.-J. Bernhard u. a., 2 Bde. (Berlin-Ost 1982-89);
 
R. - Aufklärung einer histor. Legende, Beitrr. v. U. Backes u. a. (21987);
 U. von Hehl: Die Kontroverse um den R., in: Vjh. für Zeitgesch., Jg. 36 (1988); Der R. Eine wiss. Dokumentation, hg. v. W. Hofer u. a. (Neuausg. 1992);
 E. Jesse: Der R. u. seine »Aufklärer«, in: Gefälscht! Betrug in Politik, Lit., Wiss., Kunst u. Musik, hg. v. K. Corino (Neuausg. 1996).
II
Reichstagsbrand
 
Am Abend des 27. Februar 1933 brannte das Reichstagsgebäude in Berlin. Es war Brandstiftung. Am Tatort wurde der Holländer Marinus van der Lubbe festgenommen. Er bestritt, Mittäter gehabt zu haben.
 
Die Nationalsozialisten beschuldigten sofort die Kommunisten, den Brand gelegt zu haben - als Signal zum Aufstand gegen die neuen Machthaber. Hitler nutzte die Stunde und ließ schon am 28. Februar durch den Reichspräsidenten die »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« herausgeben, die Reichstagsbrandverordnung. Durch sie wurden praktisch alle politischen Grundrechte der Weimarer Verfassung »bis auf weiteres« außer Kraft gesetzt. Eine Welle von Verhaftungen, vor allem kommunistischer Funktionäre und Reichstagsabgeordneter, setzte ein, die kommunistische Presse wurde verboten, zeitweise auch die sozialdemokratische.
 
In dem späteren Reichstagsbrandprozess konnte eine Mitschuld kommunistischer Agenten nicht nachgewiesen werden, die angeklagten Kommunistenführer mussten freigesprochen werden. Immer wieder sind Zweifel an der These der Alleintäterschaft des Holländers, der zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde, geäußert worden. Der nahe liegende Verdacht, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt haben könnten, um sich - vor den Reichstagswahlen - eine Handhabe zum Vorgehen gegen die KPD zu verschaffen, war unterschwellig vorhanden, konnte aber während der nationalsozialistischen Herrschaft öffentlich nicht geäußert werden. Neueren Forschungen zufolge haben die Nationalsozialisten den Reichstagsbrand nicht veranlasst, ihn aber für ihre Zwecke instrumentalisiert.

* * *

Reichs|tags|brand, der <o. Pl.>: durch Brandstiftung verursachter Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin am 27. 2. 1933.

Universal-Lexikon. 2012.

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